10 Jahre Eröffnung der Andreasstraße

Am 3.12.2022 feierten wir das 10jährige Bestehen der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße mit geladenen Gästen. Vor 10 Jahren war das Haus mit dem Kubus der Friedlichen Revolution fertiggestellt, die Dauerausstellung kam ein Jahr später.

► Der Ablauf und die Teilnehmenden der Veranstaltung

Für die Gesellschaft für Zeitgeschichte sprach Barbara Sengewald► hier ihre Rede).

Der damalige Vorstandsvorsitzender der Stiftung Ettersberg, Prof. Dr. Hans-Joachim Veen, erinnerte an die Entstehung des Hauses und die damit verbundenen Auseinandersetzungen. ► Hier seine Rede

Grußwort zur Festveranstaltung 10 Jahre Übergabe des Gebäudes der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße

von Barbara Sengewald

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde,

Als wir vor 33 Jahren die Bezirksverwaltung der STASI besetzten, habe wir die Untersuchungshaftanstalt hier gleich mit besetzt. Und in die durch die Amnestie leeren Zellen der STASI-U Haft hier in der oberen Etage haben wir die Akten eingeschlossen, die die Stasi vernichten wollte. Denn mit der Besetzung der Stasi-Zentrale am 4. Dezember 1989 ging von Erfurt das Signal aus, die schärfste Waffe der SED, das MfS, unwirksam zu machen.

Als die Haftanstalt 2002 endgültig geschlossen wurde, sollte das Gebäude abgerissen werden.

Wir von der Gesellschaft für Zeitgeschichte wollten diesen Abriss verhindern, weil dieses Gebäude gemeinsam mit dem angrenzenden in der Andreasstraße gleichsam ein Sinnbild der friedlichen Revolution ist. Wir wollten, dass auch Jahre danach hier, an dieser Stelle, daran erinnert wird, dass ein bis an die Zähne bewaffnetes, aggressives System mit friedlichen Mitteln überwunden werden kann.

Aber ehrlich, so richtig vorstellen, dass uns das gelingt, konnten wir uns damals nicht.

 2005 und in den beiden folgenden Jahren haben wir im Sommer mit den Kunst-Ausstellungprojekten unter dem Titel „EINSCHLUSS“ ermöglicht, dass ehemalige Häftlinge erstmals wieder diese Gebäude betreten konnten. Für sie war und ist es ein Ort der Repression und schlimmer persönlicher Erfahrungen.

Andererseits ist es für uns ein Ort der Überwindung der Diktatur und des Sieges der Menschenrechte.

Und so gab es in der Zeit zwischen Abrissverhinderung und Umbau und Aufbau der Gedenk- und Bildungsstätte viele unterschiedliche, sogar divergierende Pläne und Vorstellungen. Vom Umzug der BSTU mit Archiv hierher in alle Gebäude,  über die Einrichtung eines Jugendhotels mit Gedenkstätte bis zur reinen Haftgedenkstätte mit kompletten Erhalt der Haftetagen im Urzustand.

 

Es war nicht einfach, ein Konzept zu entwickeln und durchzusetzen, mit dem sich dann letztendlich alle unterschiedlichen Akteure identifizieren konnten. Aber es ist gelungen! Längst gibt es eine konstruktive und respektvolle Zusammenarbeit der drei beteiligten Vereine, von Opfern und Akteuren, die beispielgebend ist.

Was für uns als Akteure der friedlichen Revolution besonders wichtig ist, habe ich schon 2007 bei der Eröffnung des 3. Einschluss-Projektes hier an diesem Ort gesagt.

Ich möchte es trotzdem nochmal wiederholen:

 „…uns ist dreierlei wichtig: Erinnern, Gedenken und Lernen.

Der Ort soll erinnern, wie in einer Diktatur Menschen ihrer Rechte und ihrer Würde beraubt werden, wie sie bedrängt, bevormundet, kriminalisiert und um ihr Leben gebracht wurden.

Der Ort soll der Menschen gedenken, die hier als politische Häftlinge waren. Die hier litten und deren Leben dadurch einschneidend verändert, und manchmal sogar vernichtet wurde.

Aber er soll auch ein Ort sein, wo daraus gelernt wird. Zu lernen, wie Diktaturen funktionieren und wie Menschen in Diktaturen funktionieren, kann helfen, neue Diktaturen zu verhindern. Zu lernen, wie Menschen sich gegen Diktaturen auflehnen und ihnen widerstehen, kann helfen, die gewonnene Freiheit unverlierbar zu machen.“

 

Und wir konnten mitgestalten, nicht nur beim Bau …. sondern auch inhaltlich … aber dazu kommen wir ja erst im nächsten Jahr. So wollten auch wir von Anfang an entsprechend der drei Themen, dass die obere Etage als Haftetage so bleibt, wie sie war. In der mittleren Etage wird der Alltag des Lebens in der DDR, zwischen Anpassung und Aufbegehren, dargestellt.

Neu ist der Kubus.  Gestaltet von Simon Schwarz nach vielen auch von uns zur Verfügung gestellten Fotos. Wir haben gemeinsam seinen Entwurf diskutiert und unsere Vorschläge sind mit umgesetzt worden. So ist ein großes Wandbild der Friedlichen Revolution entstanden.

Und der Ruf der Demonstrationen 89 „keine Gewalt“ ist weithin vom Domplatz aus sichtbar, nur das Wort Gewalt steht auf der anderen Seite in Richtung Haftanstalt.

Als Zentrum für Bildungsarbeit ist der Kubus auch ein Symbol dessen, was nach der friedlichen Revolution neu entstehen konnte.

Gerade heute und in dieser Zeit ist es wichtig, einen solchen Ort zu haben, der ein Ort der Aufarbeitung und zugleich ein Ort der politischen Bildung ist.

Man lernt, zu begreifen, wie in Diktaturen die Staatsmacht mittels ihrer Geheimdienste in der damaligen DDR und den anderen Ostblockstaaten funktionierten. Wie ihnen letztlich jedes Mittel recht war, das ihren Zielen diente und wie sie damit Leben drangsalierten und zerstörten. Und wie dennoch unter diesen Bedingungen Menschen für ihr Leben Verantwortung übernommen haben. Opposition und Widerstand entstehen konnten, oft in Formen, die man erst bei näherem Hinsehen begreift.

Das schärft den Blick für Freiheitsbewegungen in unserer Zeit. Und es nährt Verständnis und Solidarität, dort wo die Freiheitsrechte vorenthalten werden.

Wir als Gesellschaft für Zeitgeschichte haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Geschichte der Überwindung der Diktatur aufzuschreiben, zu erzählen und hier in Erfurt einen Ort zu schaffen, der für diese Geschichte steht.

Und das ist es geworden: Ein Ort, der Zivilcourage, Bürgerengagement und Mitverantwortung befördert!

Danke an alle, die das ermöglicht und daran mitgewirkt haben.